Zur Sperrzeit gegen LKW-Fahrer wegen Arbeitsplatzverlust infolge Fahrerlaubnisentzug durch Verkehrsverstoß während Privatfahrt

Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 21.10.2011 – L 7 AL 120/09

Zur Abschichtung verhaltensbedingter und personenbedingter Gründe für die Kündigung eines LKW-Fahrers nach einer Verkehrsordnungswidrigkeit während einer Privatfahrt und den Folgen für den Eintritt einer Sperrzeit. (Rn.22)

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 3. April 2009 wird zurückgewiesen; dabei wird dessen Tenor wie folgt gefasst: Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 7. Februar 2005 und Abänderung des Bescheides vom 9. Februar 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. September 2005 verurteilt, ihm Arbeitslosengeld auch für die Zeit vom 6. Januar 2005 bis zum 30. März 2005 zu gewähren.

II. Die Beklagte hat dem Kläger auch im Berufungsrechtszug die zur Rechtsverfolgung notwendigen Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über den Eintritt einer zwölfwöchigen Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe und die leistungsrechtlichen Konsequenzen hieraus.

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Der 1963 geborene Kläger war – nachdem er zuvor Arbeitslosenhilfe bezogen hatte, weil vorangegangene Beschäftigungen vom 27. März 2003 bis 2. April 2003 und vom 30. Juni 2003 bis 22. August 2003 nicht zur Erfüllung der Anwartschaftszeit für einen Anspruch von Arbeitslosengeld geführt hatten – vom 5. Januar 2004 bis zum 5. Januar 2005 als Lkw-Fahrer bei der Firma C., D., beschäftigt. Er hatte bereits vor dem Beginn des Beschäftigungsverhältnisses wiederholt Verkehrsverstöße begangen, die zu Eintragungen in das Verkehrszentralregister geführt hatten. Auf Grund von fünf selbstständigen Handlungen in der Zeit vom 7. Januar 2000 bis zum 15. Oktober 2003 (Geschwindigkeitsübertretung von 30 km/h am 7. Januar 2000; Geschwindigkeitsübertretung von 61 km/h am 15. Juli 2001; Benutzung des Seitenstreifens am 29. Mai 2002; unerlaubtes Entfernen vom Unfallort am 1. September 2003; Verstoß gegen ein Überholverbot in Tateinheit mit Geschwindigkeitsüberschreitung von 16 km/h in Tateinheit mit Geschwindigkeitsüberschreitung in mehr als zwei Fällen am 15. Oktober 2003) wies sein Punktekonto eine Gesamtpunktzahl von 17 Punkten aus. Mit Schreiben vom 6. Juli 2004 wurde er über seinen Punktestand informiert und verwarnt.

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Am 10. Juli 2004, also während des Beschäftigungsverhältnisses, benutzte der Kläger während einer Privatfahrt verbotswidrig ein Mobiltelefon. Der Verkehrsverstoß führte zu einem Bußgeldbescheid vom 26. August 2004 und zur Eintragung eines weiteren Punktes im Verkehrszentralregister. Die Oberbürgermeisterin der Stadt E. entzog dem Kläger deswegen durch Bescheid vom 22. Dezember 2004 die Fahrerlaubnis mit einer Sperrfrist von sechs Monaten. Der Arbeitgeber kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 3. Januar 2005 zum 5. Januar 2005, da er nur Arbeitsplätze für Fahrer habe.

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Am 6. Januar 2005 meldete der Kläger sich bei der Beklagten arbeitslos und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld. Diese stellte mit dem angefochtenen Bescheid vom 7. Februar 2005 den Eintritt einer zwölfwöchigen Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe vom 6. Januar 2005 bis zum 30. März 2005 fest. Während dieser Zeit ruhe der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld. Die Sperrzeit mindere den Anspruch um 84 Tage. Durch Leistungsbescheid vom 9. Februar 2005 bewilligte sie dem Kläger dementsprechend Arbeitslosengeld mit einem Leistungsbetrag von 34,20 Euro täglich für [nur] 96 Tage [erst] ab dem 31. März 2005.

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Der Kläger legte durch Schreiben seiner damaligen Bevollmächtigten vom 7. März 2005 Widerspruch gegen den Sperrzeitbescheid ein. Er habe weder vorsätzlich noch grob fahrlässig seine Arbeitslosigkeit herbeigeführt. Er habe lediglich über einen längeren Zeitraum hinweg Bußgeldbescheide wegen fahrlässig begangener Verkehrsordnungswidrigkeiten „kassiert“, ohne dass es ihm gelungen sei, über die entsprechenden Verjährungsvorschriften von diesem Punktestand „wieder nach unten zu kommen“. Als er nun einen Punktestand von 18 erreicht gehabt habe, sei ihm automatisch der Führerschein entzogen worden. Allein dieser Umstand habe zur Kündigung seines Arbeitsverhältnisses geführt. Der Arbeitgeber habe ihm bereits signalisiert, dass er ihn wahrscheinlich wieder einstellen werde, sobald er seinen Führerschein wiederbekomme. Ergänzend reichte der Kläger Unterlagen zu den Verkehrsverstößen zu den Akten; diesbezüglich wird wegen der Einzelheiten auf Bl. 117 ff. der Leistungsakte Bezug genommen.

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Die Beklagte wies den Widerspruch durch Bescheid vom 29. September 2005 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie insbesondere aus, das vertragswidrige Verhalten des Klägers sei darin zu sehen, dass ihm sein Führerschein für sechs Monate entzogen worden sei. Das rechtfertige die Kündigung des als Kraftfahrer beschäftigten Klägers, da ein anderer Arbeitsplatz in der Firma nicht vorhanden gewesen sei. Der Kläger habe aufgrund arbeitsvertraglicher Verpflichtung dafür Sorge zu tragen gehabt, dass er zum Führen von Kraftfahrzeugen berechtigt bleibe. Er habe damit rechnen müssen, dass der Arbeitgeber das Verhalten nicht hinnehmen, sondern das Beschäftigungsverhältnis beenden werde. Dem Kläger habe nach der Information über seinen Punktestand und der Verwarnung auch bewusst sein müssen, dass der nächste Verkehrsverstoß zu einer Entziehung seiner Fahrerlaubnis führen könne. Die Arbeitslosigkeit sei daher zumindest grob fahrlässig herbeigeführt worden.

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Hiergegen hat der Kläger am 4. November 2005 Klage zum Sozialgericht Frankfurt am Main (SG) erhoben. Der Widerspruchsbescheid sei seinem Bevollmächtigten am 4. Oktober 2005 zugegangen. In der Sache hat er sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt und vertieft.

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Die Beklagte hat demgegenüber darauf verwiesen, der Kläger habe, da er als Fahrer eingestellt gewesen sei und der Arbeitgeber nur Stellen für Fahrer gehabt habe, bei seiner Handybenutzung am Steuer, gleich ob einer Privat- oder Dienstfahrt, damit rechnen müssen, dass er durch dieses verkehrswidrige Verhalten sein Punktekonto überziehen, seinen Führerschein und damit zwangsläufig seine Arbeit verlieren würde. Hierin sei das grob fahrlässige Verhalten, das zur Arbeitslosigkeit geführt habe, zu sehen.

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Das SG hat die Beklagte durch Urteil vom 3. April 2009 unter Aufhebung des Bescheides vom 7. Februar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. September 2005 verurteilt, dem Kläger Arbeitslosengeld ab dem 6. Januar 2005 in gesetzlichem Umfang zu gewähren. Zur Begründung hat es insbesondere ausgeführt, die Beklagte habe zu Unrecht den Eintritt einer Sperrzeit und das Ruhen des Leistungsanspruchs des Klägers wegen eines arbeitsvertragswidrigen Verhaltens festgestellt. Das Bundessozialgericht habe mit Urteil vom 5. Dezember 2005 (Az.: B 7a AL 46/05 R) festgestellt, dass eine Kausalität zwischen Fehlverhalten und Verlust des Arbeits- bzw. Beschäftigungsverhältnisses dann nicht vorliege, wenn der Verlust einer Fahrerlaubnis auf einem Fehlverhalten beruhe, das vor der Begründung des Arbeitsverhältnisses liege. Dieser Rechtsprechung schließe sich das erkennende Gericht an, zumal sie auch unter Berücksichtigung der Besonderheit des vorliegenden Falles sachgerecht sei. Lediglich ein Punkt der zum Entzug der Fahrerlaubnis führenden Gesamtpunktzahl von 18 Punkten beruhe auf einer Handlung, die der Kläger während des Zeitraumes des Arbeitsverhältnisses begangen habe. Alleine dies hätte jedoch nicht ausgereicht, eine Entziehung der Fahrerlaubnis zu begründen. Ein weitergehender Rückgriff auf die vor der Begründung des Arbeitsverhältnisses liegenden Handlungen sei nach der vorgenannten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht möglich. Mangels Kausalität zwischen dem dem Kläger vorgeworfenen Fehlverhalten und dem Verlust des Beschäftigungsverhältnisses habe der Eintritt einer Sperrzeit daher nicht festgestellt werden können. Da die übrigen Anspruchsvoraussetzungen unstreitig erfüllt seien, sei die Beklagte unter Aufhebung des Sperrzeitbescheides zur Leistungsgewährung zu verurteilen.

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Die Beklagte hat – nach Zustellung des Urteils am 15. Juli 2009 – am 27. Juli 2009 Berufung eingelegt. Zur Begründung macht sie insbesondere geltend, der Kläger habe sich, da er als Kraftfahrer beschäftigt gewesen sei, auf Grund einer entsprechenden arbeitsvertraglichen Nebenpflicht nicht nur während, sondern auch außerhalb der Arbeitszeit so zu verhalten gehabt, dass er im Besitz der Fahrerlaubnis bleibe. Bei einem Berufskraftfahrer sei der Besitz der Fahrerlaubnis Geschäftsgrundlage für die Erfüllung des Arbeitsvertrages. Die Berechtigung zur fristlosen Kündigung allein wegen des Verlustes der Fahrerlaubnis habe im Übrigen das Bundesarbeitsgericht grundsätzlich anerkannt. Nach dem vom erstinstanzlichen Gericht herangezogenen Urteil des Bundessozialgerichts müsse sich der Vorwurf der Verletzung einer arbeitsvertraglichen Pflicht auf den aktuellen Arbeitsvertrag beziehen. In der genannten Entscheidung habe das BSG eine Sperrzeit verneint, weil das Fehlverhalten des dortigen Klägers aus der Zeit eines früheren Arbeitsvertrages, der erst nach dem Fehlverhalten in einen unbefristeten Arbeitsvertrag umgeändert worden sei, hergerührt habe. Im vorliegenden Fall resultiere dagegen das Fehlverhalten des Klägers, das zum 18. Punkt im Verkehrszentralregister geführt habe, aus dem aktuellen Beschäftigungsverhältnis mit der Firma C. Im Hinblick darauf, dass der Kläger kurz vor dem erneuten Verkehrsverstoß schriftlich über den Punktestand unterrichtet worden sei und eine Verwarnung erhalten habe, hätten ihm die Gefahr eines weiteren Verkehrsverstoßes und dessen Folgen auch bewusst sein müssen.

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Die Beklagte beantragt,

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das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 3. April 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Der Kläger beantragt,

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die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass der Tenor des angefochtenen Urteils wie folgt zu fassen ist: Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 7. Februar 2005 und Abänderung des Bescheides vom 9. Februar 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. September 2005 verurteilt, ihm Arbeitslosengeld auch für die Zeit vom 6. Januar 2005 bis zum 30. März 2005 zu gewähren.

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Er verteidigt das angegriffene Urteil.

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Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und der zum Kläger geführten Leistungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung kann keinen Erfolg haben. Die Voraussetzungen für die Feststellung einer Sperrzeit und die damit verbundenen leistungsrechtlichen Konsequenzen lagen nicht vor. Das SG hat die Beklagte daher zu Recht zur Gewährung von Arbeitslosengeld bereits ab 6. Januar 2005 verurteilt.

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I. Gegenstand des Rechtsstreits und des Berufungsverfahrens ist entgegen der Fassung des Tenors des angegriffenen Urteils nicht nur der Bescheid vom 7. Februar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. September 2005 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte den Eintritt einer Sperrzeit festgestellt hat, sondern auch deren Bescheid vom 9. Februar 2005 über die Bewilligung von Arbeitslosengeld, soweit sie darin – zumindest stillschweigend – einen Leistungsanspruch für die Zeit vom 6. Januar 2005 bis 30. März 2005 abgelehnt hat. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bildet der Leistungsbescheid eine rechtliche Einheit mit dem Sperrzeitbescheid (vgl. für viele BSG, 15.12.2005 – B 7a AL 46/05 R). Auch der Leistungsbescheid war deswegen Gegenstand des Widerspruchs- und des erstinstanzlichen Verfahrens; das SG hat der Sache nach auch über beide Bescheide befunden. Dem war durch eine Berichtigung des Tenors der Entscheidung des SG Rechnung zu tragen (§ 138 SGG), die auch im Rechtsmittelverfahren zulässig ist, ohne dass hierin eine „Verböserung“ zu sehen wäre (vgl. auch dazu BSG, 15.12.2005 – B 7a AL 46/05 R).

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II. Das Urteil des SG erweist sich als zutreffend.

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1. Die Klage war zunächst zulässig, insbesondere nicht verfristet. Ein Nachweis über die Zustellung des Widerspruchsbescheides vom 29. September 2005 ist in den Akten der Beklagten nicht enthalten, auch ist nicht zu ersehen, wann er zur Post gegeben wurde. Mangels Anknüpfungspunkt für die Vermutung des § 37 Abs. 2 SGB X muss daher für die Berechnung der einmonatigen Klagefrist (§ 87 Abs. 1 S. 1 SGG) von den Angaben des erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten – die mit dem auf dem Widerspruchsbescheid angebrachten Eingangsstempel übereinstimmen – ausgegangen werden, dieser sei ihm (erst) am 4. Oktober 2005 zugegangen. Die am 4. November 2005 beim SG eingegangene Klage war demnach rechtzeitig.

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2. Es kann offenbleiben, ob § 144 SGB III hier in der bis 31. Dezember 2004 (F. 2004) und damit zum Zeitpunkt des dem Kläger als vertragswidrig vorgeworfenen Verhaltens geltenden oder in der durch das Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 (BGBl. I S. 2848) mit Wirkung zum 1. Januar 2005 (F. 2005) geänderten und damit bei Eintritt der Arbeitslosigkeit geltenden Fassung anzuwenden ist. Inhaltlich unverändert tritt nach beiden Fassungen eine (zwölfwöchige) Sperrzeit bei bzw. wegen Arbeitsaufgabe ein, wenn der Arbeitnehmer, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben, durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat (§ 144 Abs. 1 S. 1 i.V.m. S. 2 Nr. 1 SGB III F. 2005 bzw. § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGB III F. 2004).

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3. Der Eintritt einer Sperrzeit setzt zunächst ein arbeitsvertragswidriges Verhalten voraus, das in jeglichem Verstoß gegen geschriebene oder ungeschriebene Haupt- oder Nebenpflichten aus dem Arbeitsvertrag bestehen kann. Dieses Verhalten muss (im Sinne der Wesentlichkeitstheorie) kausal für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses und dies wiederum Ursache für den Eintritt der Arbeitslosigkeit gewesen sein. Schließlich muss die Herbeiführung der Arbeitslosigkeit auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit des Arbeitnehmers beruhen, wobei nicht von einem objektiven, sondern von einem subjektiven, individualisierenden Maßstab auszugehen ist (vgl. nochmals BSG, 15.12.2005 – B 7a AL 46/05 R m.w.Nw., außerdem Voelzke in Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 12 Rdnr. 300 ff.).

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a) Der Verkehrsverstoß des Klägers ist bereits nicht als Verletzung des Arbeitsvertrages zu werten, die zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen konnte.

24

Der Kläger trägt dazu vor, die Ordnungswidrigkeit sei während einer Privatfahrt geschehen. Namentlich auf Grund seiner Schilderungen im Rahmen der mündlichen Verhandlung erscheint das auch glaubhaft. Der Kläger hat vorgetragen, er habe seiner Frau mitteilen wollen, dass er gleich nach Hause komme. Er hat dies nachvollziehbar und gerade im Vergleich zu den sonstigen Einlassungen des im Deutschen nicht sehr sprachgewandten Klägers relativ konkret geschildert, so dass der Senat keinen Anlass sieht, dieses Vorbringen zu bezweifeln. Die Akten des Ordnungsamtes sind, wie dieses auf Anfrage mitgeteilt hat, nicht mehr vorhanden. Der Senat geht daher davon aus, dass sich der Verkehrsverstoß tatsächlich während einer Privatfahrt ereignet hat.

25

Der schriftliche Arbeitsvertrag enthält zu den Verhaltspflichten bei privater Teilnahme am Straßenverkehr keine Regelung. Dieser kann somit für die Begründung einer arbeitsvertraglichen (Neben-)Pflicht, sich (auch außerhalb der Arbeitszeit) verkehrsordnungsgemäß zu verhalten, nicht herangezogen werden.

26

Allerdings geht die Rechtsprechung jedenfalls überwiegend davon aus, dass bei einem Berufskraftfahrer der Besitz der Fahrerlaubnis Geschäftsgrundlage des Arbeitsvertrages sei. Daraus ergebe sich die – ungeschriebene – Nebenpflicht, (auch im Privatbereich) alles zu unterlassen, was zur Beseitigung dieser Geschäftsgrundlage und also zum Verlust der Fahrerlaubnis führen könne (vgl. Hess. LSG, 22.06.2010 – L 6 AL 13/08; außerdem BSG, 15.12.2005 – B 7a AL 46/05 R; BSG, 06.03.2003 – B 11 AL 69/02 R; LSG BW, 25.02.2011 – L 8 AL 3458/10). Der Verlust des Führerscheins könne zudem eine Kündigung, ggf. auch eine außerordentliche fristlose Kündigung, rechtfertigen. Dabei gingen bei Privatfahrten personenbedingte und verhaltensbedingte Kündigungsgründe ineinander über. Im Ergebnis besteht nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (06.03.2003 – B 11 AL 69/02 R) die Notwendigkeit, anhand des Gegenstands und des Inhalts des Arbeitsvertrages sowie der konkreten Interessenlage zu überprüfen, ob in dem privaten Verkehrsverstoß des Klägers ein arbeitsvertragswidriges Verhalten zu sehen ist, das Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben hat.

27

Insofern ist zu berücksichtigen, dass der Kläger ausdrücklich als Lkw-Fahrer eingestellt worden und damit die Fahrerlaubnis notwendige Voraussetzung für die Ausübung der vorgesehenen Tätigkeit war. Weiter hat der Arbeitgeber im Kündigungsschreiben ausdrücklich darauf abgestellt, dass es eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit für den Kläger nicht gegeben habe, weil der Arbeitgeber nur Fahrer beschäftigte. Dem ist der Kläger zu keinem Zeitpunkt entgegengetreten, vielmehr hat er selbst dies als Begründung dafür angeführt, warum er Kündigungsschutzklage nicht erhoben habe. Die Interessenlage im konkreten Arbeitsverhältnis spricht daher auf den ersten Blick dafür, dass der Kläger auch im Privatbereich dafür Sorge zu tragen hatte, sich im Besitz der Fahrerlaubnis zu halten, und dementsprechend Verkehrsverstöße wie den hier maßgeblichen zu unterlassen hatte.

28

Die bisher vorliegende Rechtsprechung zur Relevanz privat begangener Verkehrsverstöße für den Eintritt einer Sperrzeit bezieht sich allerdings weit überwiegend auf Trunkenheitsfahrten (vgl. zusätzlich zu den bisher genannten Entscheidungen noch LSG Saarland, 23.11.2010 – L 6 AL 4/10) und damit auf gravierende Verkehrsverstöße. Eine auch ungeschriebene arbeitsvertragliche Pflicht, ein entsprechendes Verhalten zu unterlassen, erscheint dementsprechend naheliegend. Die Besonderheit des hiesigen Sachverhalts liegt dagegen darin, dass der Kläger während der Zeit des Arbeitsverhältnisses nur eine vergleichsweise geringfügige Ordnungswidrigkeit begangen hat, die dennoch ausreichte, um dem Arbeitsvertrag durch den Verlust der Fahrerlaubnis die Geschäftsgrundlage zu entziehen, weil er auf Grund vorangegangener Verstöße gegen das Straßenverkehrsrecht erheblich „vorbelastet“ war.

29

Ein sperrzeitrelevanter Verstoß gegen eine ungeschriebene vertragliche Nebenpflicht lässt sich vor diesem Hintergrund im konkreten Fall nicht feststellen. Das Bundesarbeitsgericht (04.06.1997 – xxxxx) und im Anschluss daran das Bundessozialgericht (06.03.2003 – B 11 AL 69/02 R) haben hervorgehoben, bei privaten Verkehrsverstößen gingen verhaltens- und personenbedingte Kündigungsgründe ineinander über. Für das Arbeitsförderungsrecht ist es, da Sperrzeiten nur als Folge vertragswidrigen Verhaltens eintreten können, notwendig, beide Bereiche abzuschichten, während dies für das Arbeitsrecht meist ohne Bedeutung ist. Im Rahmen der erwähnten Notwendigkeit, anhand des Gegenstands und des Inhalts des Arbeitsvertrages sowie der konkreten Interessenlage zu überprüfen, ob in dem privaten Verkehrsverstoß des Klägers ein arbeitsvertragswidriges Verhalten zu sehen ist, das Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben hat, ist es daher notwendig, einen möglichen Vertragsverstoß im Verhältnis zu einem eventuellen personenbedingten Kündigungsgrund zu gewichten.

30

Im konkreten Fall mag die Kündigung trotz des nur vergleichsweise leichten Verkehrsverstoßes gerechtfertigt gewesen sein, weil der Kläger zur Erbringung seiner Arbeitsleistung nicht mehr in der Lage war. Dagegen ist bereits sehr zweifelhaft, ob im konkreten Fall bei der Begehung einer „alltäglichen“ Verkehrsordnungswidrigkeit im Privatbereich überhaupt von einem Vertragsverstoß ausgegangen werden kann. Es ist zumindest ausgesprochen problematisch, angesichts des Schweigens des Arbeitsvertrages von einer Nebenpflicht auszugehen, auch leichte – hier „nur mit einem Punkt“ sanktionierte – Verkehrsverstöße im Privatbereich zu vermeiden. Dies würde zu einer deutlich stärkeren Einwirkung auf die private Lebensgestaltung führen als die Annahme einer Nebenpflicht, die Trunkenheitsfahrten ausschließt (vgl. dazu Hess. LSG, a.a.O.). (Auch) aus arbeitsvertraglichen Gründen wäre eine hohe Aufmerksamkeit im Verkehrsverhalten bei Privatfahrten geboten; vergleichsweise häufig vorkommende Verkehrsverstöße hätten Bedeutung für das Arbeitsverhältnis. Die Annahme einer derartigen Verpflichtung ist keineswegs selbstverständlich und dürfte daher zumindest eine ausdrückliche vertragliche Regelung voraussetzen. Soll ein Verstoß gegen diese Verpflichtung eine (verhaltensbedingte) Kündigung nach sich ziehen, wäre zudem regelmäßig eine Abmahnung erforderlich. Im Ergebnis dürfte, auch wenn der weitere Verkehrsverstoß am 10. Juli 2004 nicht isoliert von den vorangegangenen gesehen werden kann und der Kläger durch diese, das Punktesystem im Allgemeinen und die Verwarnung vom 6. Juli 2004 gewarnt war, eine arbeitsvertragliche Grundlage für eine verhaltensbedingte Kündigung – noch dazu ohne Abmahnung – fehlen.

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Jedenfalls steht bei der notwendigen Abschichtung der (ggf. einen Grund für eine personenbedingte Kündigung darstellende) Verlust des Führerscheins im Vordergrund, (allein) das Fehlverhalten durch den Straßenverkehrsverstoß ist zumindest von erheblich geringerem Gewicht. Eine Sperrzeit kann aber nur eintreten, wenn vertragswidriges Verhalten Anlass für den Verlust des Arbeitsplatzes gewesen ist, so dass sich die Entscheidung des SG im Ergebnis als zutreffend erweist. Die Entscheidungen des LSG BW (08.06.2011 – L 3 AL 1315/11, das bei einer fahrlässigen Straßenverkehrsgefährdung mit nachfolgendem Verlust der Fahrerlaubnis von einer „verhaltsbedingt verursachte[n] persönliche[n] Unmöglichkeit der Leistungserbringung“ spricht und eine aus diesem Grunde erfolgte Kündigung für sperrzeitrelevant hält, allerdings anschließend das Vorliegen grober Fahrlässigkeit verneint) und des LSG HH (11.05.2011 – L 2 AL 55/08, das bei einem Rotlichtverstoß, der zu einer „Überziehung des Punktekontos“ geführt hatte, offenbar davon ausging, dass der verhaltsbedingte Anteil am Kündigungsgeschehen ausreichte, um eine Sperrzeit eintreten zu lassen) unterscheiden sich vom hiesigen Sachverhalt in zwei wesentlichen Gesichtspunkten: Zum einen enthielten die Arbeitsverträge in den dortigen Fällen ausdrückliche Klauseln zum Führerscheinverlust bzw. zu einer Pflicht zu verkehrsgerechtem Verhalten; zum anderen ging es dort um Verkehrsverstöße bei der Arbeit. Beide Gerichte standen daher nicht vor der Notwendigkeit abzuwägen, ob und unter welchen Umständen „stillschweigende“ arbeitsvertragliche Pflichten mit Bedeutung für vergleichsweise leichte Verkehrsverstöße im privaten Bereich anzunehmen sind.

32

b) Überdies liegen die subjektiven Voraussetzungen für den Eintritt einer Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe nicht vor; wie oben bereits ausgeführt, muss die Arbeitslosigkeit vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt worden sein.

33

Anhaltspunkte, die es erlauben würden, hier nicht nur hinsichtlich des Verkehrsverstoßes selbst, sondern auch im Hinblick auf die dadurch verursachte Folge der Arbeitslosigkeit von Vorsatz auszugehen, bestehen nicht.

34

Grobe Fahrlässigkeit liegt auch im hiesigen Zusammenhang entsprechend der Legaldefinition in § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X (nur) vor, wenn der Betroffene die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Das ist dann der Fall, wenn er auf Grund einfachster und ganz naheliegender Überlegungen die Folgen seines Tuns hätte erkennen können bzw. dasjenige unbeachtet gelassen hat, was im gegebenen Falle jedem hätte einleuchten müssen (vgl. Steinwedel, Kass. Kommentar, § 45 SGB X Rdnr. 39 m.w.Nw.). Dabei ist ein subjektiver Maßstab anzulegen, also auf die persönliche Einsichts- und Kritikfähigkeit abzustellen. Der Betroffene muss im Ergebnis die zur Arbeitslosigkeit führende Kausalkette nicht nur verursacht, sondern auch zu verantworten haben (BSGE 67, 27, 67; Karmanski in Niesel/Brand, SGB III, 5. Aufl. 2010, § 144 Rdnr. 53) oder – anders formuliert – er muss auf der Basis der ihm möglichen Einsichten im Sinne einer Vermeidung von Arbeitslosigkeit völlig unverständlich oder unverständig gehandelt haben (Winkler in Gagel, SGB II/III, § 144 SGB III Rdnr. 84 nach BSG, 31.08.1976 – 7 RAr 112/74).

35

Nicht entscheidend ist dabei, dass der Verkehrsverstoß selbst hier sogar vorsätzlich geschehen sein dürfte. Nach dem Eindruck, den der Senat im Rahmen der mündlichen Verhandlung von dem Kläger gewonnen hat, kann ihm dagegen nicht der Vorwurf gemacht werden, er hätte, als er dies tat, auf Grund einfachster und – auch für ihn – ganz naheliegender Überlegungen erkennen müssen, dass dies den Eintritt von Arbeitslosigkeit zur Folge haben werde. Zwar war er kurz zuvor verwarnt und auf den drohenden Führerscheinverlust bei weiteren Verkehrsverstößen hingewiesen worden. Die Nutzung eines Mobil- oder Autotelefons, wobei der Fahrer das Mobiltelefon oder den Hörer aufnimmt oder hält, war für ihn aber – trotz des Verbots in § 23 Abs. 1a StVO, eingeführt zum 1. Februar 2001 durch die Dreiunddreißigste Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschrift vom 11. Dezember 2000 (BGBl. I S. 1690) – sichtlich kein irgendwie herausgehobener Vorgang. Um die mit dem Verkehrsverstoß verbundenen einschneidenden Konsequenzen, wie sie mit dem Eintritt von Arbeitslosigkeit hier zur Diskussion stehen, (leicht) vorherzusehen, fehlte ihm erkennbar die persönliche Einsichtsfähigkeit. So war ihm nach seiner glaubhaften Einlassung schon nicht bewusst, dass die Handybenutzung zu einer weiteren Eintragung im Zentralregister führen könnte. Umso weniger lagen dem Kläger, wie aus seinen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung sichtbar wurde, in der konkreten Situation Überlegungen nahe, dass sein Verhalten Auswirkungen auf seine Beschäftigung haben könnte. Ausgehend von einem subjektiven Maßstab kann daher vom Vorliegen grober Fahrlässigkeit (noch) nicht ausgegangen werden.

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4. Die weiteren, im streitigen Bescheid verfügten Rechtsfolgen, also das Ruhen des Anspruchs (§ 144 Abs. 2 S. 2 SGB III F. 2004 bzw. § 144 Abs. 1 S. 1 SGB III F. 2005) und dessen Minderung um entsprechend viele Tage (§ 128 Abs. 1 Nr. 4 SGB III F. 2004 wie F. 2005), stehen und fallen mit dem Eintritt einer Sperrzeit. Das SG hat dementsprechend den Sperrzeitbescheid zu Recht vollständig und damit auch hinsichtlich dieser Regelung aufgehoben.

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5. Auch die Verurteilung zur Erbringung von Arbeitslosengeld ab 6. Januar 2005 ist unter diese Umständen nicht zu beanstanden. Die übrigen Voraussetzungen für einen Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld (§§ 117 ff. SGB III) lagen vor. Der Kläger hatte sich an diesem Tage arbeitslos gemeldet und war arbeitslos, nachdem er die fristlose Kündigung zum 5. Januar 2005 hingenommen und damit das Beschäftigungsverhältnis geendet hatte. Auch hatte er die Anwartschaftszeit erfüllt. Dazu musste er in der Rahmenfrist mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden haben (§ 123 S. 1 SGB III in der ab 01.01.2004 geltenden Fassung). Die Rahmenfrist betrug zwei Jahre und begann mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld (§ 124 Abs. 1 SGB III, wiederum in der ab 01.01.2004 geltenden Fassung). Da die Beschäftigungsverhältnisse im Jahre 2003 zur Erfüllung der Anwartschaftszeit nicht ausgereicht hatten, war die Rahmenfrist auch nicht durch § 124 Abs. 2. SGB III begrenzt, sondern umfasste die Zeit vom 6. Januar 2003 bis 5. Januar 2005 und damit auch die 61 Beschäftigungstage im Jahre 2003. Es muss daher der Frage nicht weiter nachgegangen werden, ob die ungewöhnliche Kündigungsfrist – Kündigung am 3. Januar 2005 zum 5. Januar 2005 – gerade so gewählt war, um dem Kläger einen Anspruch auf Arbeitslosengeld zu verschaffen. Dafür dass das Arbeitsverhältnis nur scheinbar noch in den Januar 2005 hineinreichte, spricht immerhin, dass der Arbeitgeber für den Januar 2005 nur fünf unbezahlte Arbeitstage bescheinigt hat. Unter Berücksichtigung der 61 Tage aus dem Jahre 2003 ist die Anwartschaftszeit aber selbst bei einem Ende des Arbeitsverhältnisses bereits unmittelbar nach dem Entzug der Fahrerlaubnis am 22. Dezember 2004 erfüllt; Hinweise auf ein noch früheres Ende sind nicht ersichtlich.

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6. Eines ausdrücklichen Ausspruchs hinsichtlich der Dauer des Anspruchs bedurfte es nicht. Die Beklagte hatte dem Kläger mit dem Bescheid vom 9. Februar 2005 Arbeitslosengeld für 96 Tage ab dem 31. März 2005 bewilligt. Mit der zusätzlichen Verurteilung zur Gewährung von Arbeitslosengeld vom 6. Januar 2005 bis 30. März 2005, also für 84 Tage, erhält der Kläger weitere Leistungen gerade im Umfang der mit dem aufgehobenen Bescheid festgestellten Minderung.

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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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IV. Gründe, die Revision zuzulassen, bestehen nicht, nachdem das Urteil selbständig tragend auf das Fehlen grober Fahrlässigkeit gestützt ist.

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